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Die Stadt brennt.txt
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Ich sehe aus dem Fenster. Die Stadt brennt. Ich war in Gedanken versunken, deswegen habe ich gar nicht gesehen, wie es angefangen hat. Aber es muss eigentlich mit einem einzigen Haus angefangen haben. Und dann hat sich das Feuer ausgebreitet, auf ein Haus nach dem anderen. Ab wie vielen Häusern kann man sagen, dass die ganze Stadt brennt? Erst wenn alle Häuser brennen? Sicher nicht. Aber wo ist die Grenze? Mein Haus scheint zum Beispiel nicht zu brennen. Aber das ist ja typisch, dass man mitten in etwas drin sitzt, und denkt, man sei ausgenommen. Vielleicht brennt mein Haus ja doch. Vielleicht nur ein kleines bisschen. Und dann breitet sich das Feuer aus, auf ein Zimmer nach dem anderen. Ab wann kann man sagen, dass das ganze Haus brennt? Erst wenn alle Zimmer brennen? Sicher nicht. Aber wo ist die Grenze? Die Küche, in der ich sitze, scheint zum Beispiel nicht zu brennen. Außer natürlich der kleinen Flamme, die meinen Tee warm hält. Aber Wahrnehmung ist ja sowieso unzuverlässig und subjektiv. Mag sein, dass ich aus dem Fenster sehe und den Eindruck habe, dass die Stadt brennt. Aber vielleicht stimmt das gar nicht. Ich kann ja nicht einmal die ganze Stadt aus diesem Fenster überblicken. Vielleicht brennt nur ein kleiner Teil der Stadt, der zufällig vor meinem Fenster liegt, und mein Gehirn macht eine unzulässige Verallgemeinerung. Aber selbst auf das, was wir direkt vor Augen haben, ist nicht immer Verlass. Manchmal entspringen vermeintliche Wahrnehmungen gänzlich unserem Innenleben und nicht der äußeren Welt. Vielleicht brennt auch gar nichts, und ich wünsche mir lediglich unbewusst, dass die Stadt brennt. Vielleicht gibt es auch gar keine äußere Welt, und ich lebe nur in meinem Kopf. Ich schenke mir noch eine Tasse Tee ein und komme zu dem Schluss, dass es nicht die Stadt ist, die brennt, sondern mein Herz.